Altertümliche Kanäle, eine sehr arbeitsaufwendige verkehrstechnische Konstruktionsform, sind neben römischen Zeugnissen bisher lediglich in Form von zwei Befunden des 8. Jhs. aus Mittel- bzw. Nordeuropa nachweisbar: dem Kanhave Kanal aus Dänemark und dem “Karlsgraben” (Fossa Carolina) bei Weißenburg in Bayern (ELLMERS 2000). Im Juni 2001 konnte ein drittes derartiges Monument nachgewiesen werden, das aufgrund topographischer Überlegungen wahrscheinlich der Spätkaiser- und Völkerwanderungszeit angehört: Groben (“Graben”) in Spangereid im südlichen Norwegen. Der vorliegende Artikel möchte den Kanal kurz in seinem archäologischen Umfeld vorstellen, doch die topographischen, chronologischen, konstruktiven und funktionellen Aspekte der Anlage werden noch weitere Untersuchungen erfordern.
Topographie
Die Landzunge von Lindesnes stellt den südlichsten Punkt Norwegens dar, und dem Kap sind zahlreiche kleinere Inseln vorgelagert. Diese Landzunge, die eventuell bereits dem römischen Kartographen Gaius Julius Solinus (Collectanea rerum memorabilum: cap. 29) bekannt war, wurde in der Landkarte des Claudius Clavius aus dem frühen 15. Jh. als Starkads nes (“Starkads Landspitze”) bezeichnet (STORM 1891, 27; SHETELIG 1930, 100). Mit dieser Benennung bezog er sich auf Starkad, einen mythischen Helden der nordischen Sagas. Das Kap von Lindesnes war zu allen Zeiten ein gefürchtetes Schiffahrtshindernis, doch trotz der Ängste und Mythen führte eine wichtige nordeuropäische Verkehrsroute direkt an Lindesnes vorbei. Seefahrer von allen Küsten der Nordsee gingen dort an Land, bevor sie ihren Kurs wechselten, entweder in westliche Richtung nach Bergen (zeitweise auch weiter nach Island und Grönland) oder in östliche Richtung zum Oslofjord (eventuell weiter zur schwedischen Westküste bzw. durch den Belt in die Ostsee). Als wichtige Passage bei Schiffahrtsreisen wurde Lindesnes auch für christliche Rituale von Seefahrern genutzt (WESTERDAHL 2002, 72 Fußnote 60).
Im Hinblick auf Gütertransporte auf dem Wasserweg teilt sich Lindesnes mit Jütland und den dänischen Inseln die Funktion als Übergangszone zwischen der Nord- und Ostsee. Die genannten Gebiete können wegen ihrer Lagemerkmale vielleicht als kleine nordische Parallele zur Position Griechenlands im Mittelmeerraum aufgefaßt werden (WESTERDAHL 1995; STYLEGAR 1999, 256).
Spangereid liegt an einer schmalen Landenge (norw. eid) mit einer Breite von 500 m und einer maximalen rezenten Höhe von ca. 2,90 m über NN, die das Verbindungsstück zwischen der Halbinsel Lindesnes und dem südnorwegischen Festland darstellt. Nordwestlich von Spangereid befinden sich der Grøns- und Lenefjord, nach Süden hin grenzt die Nordsee an.
Das Gebiet um Spangereid wird heute von den Gehöften Njerve (Øvre und Nedre Njerve), Stokke, Presthus, Midbø und Gahre eingenommen. Der besondere Rang Spangereids im Mittelalter wird nicht allein durch die Größe der genannten Gehöfte, sondern ebenso durch die Eigentumsverhältnisse verdeutlicht, denn neben Königsgut (Midbø und das eine Njerve-Gehöft) sind ebenso Kirch- (Presthus) und Adelsgut (Stokke) bezeugt. Allein Gahre und das zweite Njerve-Gehöft waren einfache Bauerngüter.
Archäologisches Umfeld
Die zahlreichen, zum Teil bedeutenden archäologischen Monumente und Funde in Lista (Vest-Agder) in Südnorwegen und Jæren (Rogaland) im südwestlichen Landesteil bezeugen maritime Küstenzentren für Teilabschnitte der Eisenzeit (MYHRE 1987; STYLEGAR 2001).
Obwohl dies nur wenig bekannt ist, weist Spangereid im südlichen Norwegen eine mit Lista und Jæren durchaus vergleichbare Konzentration archäologischer Monumente und Funde auf (STYLEGAR/GRIMM IM DRUCK). O. Rygh war der erste Archäologe, der Ausgrabungen in Spangereid durchführte. Seine Untersuchungen im späten 19. Jh. galten dem großen Gräberfeld mit zahlreichen reich ausgestatteten Grablegen der Kaiser-, Völkerwanderungs- und Wikingerzeit nahe der frühromanischen Kirche des 12. Jhs. im Zentrum des Orts. Das Gebiet ist zusätzlich seit dem 18. Jh. für zahlreiche altertümliche Bootshäuser mit einem Verbreitungsschwerpunkt in Kjerkevågen bekannt, darunter allein sieben spätkaiser- und völkerwanderungszeitliche Häuser zur schützenden Unterstellung von Schiffen. In den letzten Jahren konnten weitere imposante Geländedenkmäler registriert werden, darunter ein eisenzeitlicher Hallenbau, eine sog. ringförmige Anlage (tunanlegg) der Kaiser-/ Völkerwanderungszeit, die wahrscheinlich als Versammlungsplatz von Gefolgschaften diente, ein beeeindruckendes Großbootshaus des Mittelalters sowie nicht zuletzt der im Jahr 2001 registrierte und partiell untersuchte Kanal. Nach aktuellem Forschungsstand ist von zentralörtlichen Aufgaben in der Kaiser-, Völkerwanderungs- bzw. Wikingerzeit sowie im Mittelalter auszugehen.
Südwestnorwegische Fernverbindungen, die wahrscheinlich unter der Kontrolle küstennaher Zentren standen, sind für die Kaiserzeit durch zahlreiche römische Fremdgüter in den Gräbern und für die Wikingerzeit z.B. durch den Handelsplatz bei Grimstad (Aust-Agder) leicht östlich von Spangereid belegt (LARSEN 1986; LUND HANSEN 1987). Militärisch ausgerichtete Auslandsunternehmungen treten für die Kaiserzeit anhand des dänischen Mooropfers aus Illerup Platz A hervor, dessen Funde aus der Zeit um 200 n.Chr. auf Gefolgschaften von der skandinavischen Halbinsel, eventuell aus Südwestnorwegen, hindeuten; wikingerzeitliche Raubzüge sind demgegenüber anhand von insularen Fremdgütern ableitbar, die wahrscheinlich durch heimgekehrte Teilnehmer nach Norwegen gelangten (ILKJÆR 1993, 376-385; WAMERS 2002, Abb. 4-5).
”Groben”
Die Landzunge von Lindesnes gilt seit langem als eine ernstzunehmende Bedrohung für die Schiffahrt, und aus diesem Grund wurde wiederholt nach Lösungen gesucht, wie die Reiseroute via Lindesnes unter Nutzung der Landenge von Spangereid und des geschützt gelegenen Lene- bzw. Grønsfjords zu umgehen war (STYLEGAR 1999, 254-269). Wie Schriftquellen des 17./18. Jhs. belegen, hat man Boote, kleinere Schiffe und die Lasten größerer Schiffe bei Spangereid über Land transportiert. Diese Route wurde auch von hochrangigen Besuchern bevorzugt, wie z.B. noch im Jahr 1811, als der dänische Premierminister Graf Reventlow den Landweg wählte, während die Schiffsbesatzung von Osten her den gefürchteten Seeweg um Lindesnes herum befuhr, um den Grafen in Høllen am Südende des Lenefjords wieder an Bord zu nehmen.
Im Bereich der Landenge befinden sich mehrere große Erdeingriffe, die von der örtlichen Bevölkerung als “Billes Gruben” (“Billes grober”) bezeichnet werden. Diese Erdbewegungen sind offenkundig nach dem Offizier M. Bille benannt, der 1810 während der Napoleonischen Kriege in Lindesnes stationiert war. Er wandte sich in einem Brief an das dänisch-norwegische Königtum mit Sitz in Kopenhagen und schlug die Errichtung eines Kanals in Spangereid vor, der den Transport von Kriegs- und Handelsschiffen erleichtern sollte. Seine Sondageschächte (“Billes Gruben”) zur Überprüfung der Geländebeschaffenheit ließen erkennen, daß der Untergrund aus Sand bzw. Kies den Bau einer derartigen Anlage ermöglichen würde. Billes Plan blieb ebenso unverwirklicht wie andere neuzeitliche Kanalbauprojekte in Spangereid, doch bemerkenswerterweise deuten Schrift- und Bildquellen sowie obertägige Geländemerkmale auf einen Kanal von beträchtlichem Alter in diesem Gebiet hin.
In der Nähe von “Billes Gruben” befindet sich ein langgestreckter Graben (“Groben”), der noch heute insbesondere in zwei Teilbereichen zu beobachten ist. Der besser erhaltene Teil läßt sich über eine Länge von 60 m (Richtung SW-NO) im Grenzbereich zwischen den Gehöften Stokke und Njerve verfolgen. Wenn die beiden Wälle berücksichtigt werden, die zum Teil seitlich davon verlaufen, so beträgt die obere Grabenweite max. 10 m, die Tiefe max. 1,50 m und die Breite der flachen Sohle ca. 3 m.
Zur Rekonstruktion der ursprünglichen Kanallänge können Bildquellen aus den Jahren 1784 und 1810 herangezogen werden, zum einen ein Dokument im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten, zum anderen eine Karte des genannten Bille, die den alten Kanal sowie seinen Entwurf für eine moderne Anlage wiedergibt. Wie die Karten zeigen, erstreckte sich der alte Kanal von Høllebukta ausgehend ca. 250 m nach Süden, jedoch ohne sich Kjerkevågen anzunähern, dem Südende der Landenge.
Schriftquellen über einen Rechtsstreit des späten 16. Jhs. ist zu entnehmen, daß manche “Groben” als alte Grenze zwischen den Gehöften Stokke und Njerve betrachteten. Der örtliche Pfarrer und Gelehrte P. Claussøn Friis vertrat dagegen wenige Jahre später, um 1600, die Auffassung, daß vor langer Zeit die Erbauung eines Kanals “durch die Engländer” am steinigen Untergrund in Spangereid gescheitert sei.
Die schriftlichen, bildlichen und topographischen Belege zu Groben sind wie folgt zusammenzufassen: Der Kanal in Spangereid erstreckte sich über 250 m von Høllebukta nach Süden, wie es scheint ohne Durchstich zu Kjerkevågen. Sein tatsächliches Alter und die Bestimmung waren im späten 16. Jh. bzw. um 1600 bereits in Vergessenheit geraten.
Registrierung und Sondage
Im Juni 2001 hat Vest-Agder fylkeskommune das Geländedenkmal registriert. Wie sich im Laufe der Arbeiten herausstellte, ist der Graben von Høllebukta aus über eine Länge von ca. 250 m zu erschließen, und dabei wurden die noch im Gelände sichtbaren Merkmale ebenso wie jene Bereiche berücksichtigt, die nachweislich erst in moderner Zeit verfüllt wurden. Die Annahme, der Kanal habe eine Originallänge von 250 m aufgewiesen, stützt sich auf die o.g. Bildquellen, die im Süden nach Kjerkevågen hin fehlenden Geländemerkmale und den Mangel an Nachrichten über die moderne Verfüllung von Kanalpartien in diesem Gebiet.
Die Sondage im höchstgelegenen Teil Spangereids (2,9 m über NN) nahe dem früheren Rathaus setzte sich die archäologische Klärung der Frage zum Ziel, ob es sich bei dem Graben tatsächlich um einen Kanal handelt. Das untersuchte Areal gehört Lindesnes kommune, und nach dem örtlichen Bebauungsplan soll das alte Rathaus in den nächsten Jahren abgerissen und durch einen Freizeitpark ersetzt werden. Im sondierten Bereich wurde der Graben in moderner Zeit verfüllt, doch er ist nach Norden und Süden hin deutlich im Gelände wahrzunehmen.
Der ost-west-ausgerichtete Baggerschnitt erfaßte ein Areal von ca. 20 m Länge, ca. 2 m Breite und ca. 2,50 m Tiefe. Nach dem Baggereinsatz wurden die Profile gereinigt, eingemessen, gezeichnet und fotographiert. Die Dokumentation wurde dadurch erschwert, daß das sondierte Areal massiv durch Ausschachtungsarbeiten für die Wasserleitungen des alten Rathauses gestört ist und daß an der Profilsohle im zentralen Befundbereich bereits Grundwasser hervortrat.
Wie das in stratigraphischer Hinsicht aussagekräftige Südprofil zeigte, wurden die sterilen marinen Sandschichten im Profilbereich zwischen 4-16 m teilweise infolge eines Erdeingriffs entfernt, der bis 1,50 m unter den damaligen Laufhorizont bei 2,40 m über NN reichte. Die Ausschachtung, deren Kernbereich eine Breite von ca. 7 m (Profilbereich: 7-14 m) aufweist, ist durch schräggestellte Seitenpartien sowie ein horizontales Bodenniveau gekennzeichnet.
Wie botanische Analysen ergeben haben (freundliche Mitteilung von Helge Irgens Høeg, Oslo), handelt es sich bei den organischen Bändern im schräggestellten bzw. horizontalen Bereich um Torfschichten in einem sumpfigen Süßwassermilieu. Diese Bodenbildungsprozesse können unter keinen Umständen in einem noch befahrbaren, salzwasserführenden Kanal stattgefunden haben.
Der “Negativabdruck” eines schmalen länglichen Holzstücks mit zugespitztem unteren und geradem oberen Abschluß, der oberhalb von den schräggestellten Torfbändern bei 7,50 m beobachtet wurde, stammt wahrscheinlich von einem Pfosten, der später verging und dessen Hohlraum zum Teil von organischem Material verfüllt wurde. Dieser verlagerte Befund könnte zur Kanalkonstruktion gehört haben.
Die Sohle der marinen Sandschicht unter den Torfbändern muß wegen der organischen Reste nach Meinung der Verf. mit dem Bodenniveau des Kanals gleichgesetzt werden. Die Ober- und Unterkante der Schicht ist im mittleren, annähernd horizontalen Bereich klar zu erkennen, die Seitenpartien konnten dagegen nicht mit Sicherheit ermittelt werden. Es ist vorerst nicht zu entscheiden, inwieweit die Sandschicht während oder erst nach der Kanalnutzung abgelagert wurde und ob die organischen Reste die originale Kanalsohle oder die durch den Kanalbetrieb vertiefte Kanalsohle markieren.
Die Ergebnisse der Sondage im höchstgelegenen Bereich von Spangereid können wie folgt zusammengefaßt werden: Bei dem sog. Graben handelt es sich um einen ca. 7 m breiten Kanal von beträchtlichem Alter, dessen konstruktive Elemente nicht zu ermitteln waren.
Datierung
Die nicht abgeschlossenen Überlegungen zur zeitlichen Stellung des Kanals stützen sich auf naturwissenschaftliche Datierungsansätze, topographische Lagemerkmale und die oben genannte Schriftquelle, aus der hervorzugehen scheint, daß um 1600 die Datierung der offenkundig bedeutend älteren Anlage bereits in Vergessenheit gefallen war.
Die Registrierung im Juni 2001 förderte organisches Material aus den Torflagen sowie von einem zugespitzten länglichen Befund bei der östlichen Schrägseite zutage, der als Negativabdruck eines Pfostens aufgefaßt wird. Die bisher vorliegenden Radiokarbon-Datierungen erstrecken sich vom frühen 11. Jh. bis in das mittlere 13. Jh. (nachgerutschtes organisches Material des vergangenen Pfostens oberhalb vom Kanal: kal. AD 1040-1260; horizontale Torflage oberhalb vom Kanal: kal. AD 1010-1190). Diese Datierungsansätze sind wegen der genannten stratigraphischen Beobachtungen nicht zur zeitlichen Fixierung des bereits älteren Kanals heranzuziehen.
Die Kanaldatierung anhand von Lagemerkmalen beruht auf der gut untersuchten, gleichmäßigen Landhebung der letzten 2000 Jahre im rund 20 km westlich gelegenen Lista (ANDERSEN 1960; PRØSCH-DANIELSEN 1996). Die Oberfläche im untersuchten Kanalbereich befindet sich heute bei ca. 2,90 m, die (vermutete) Sohle bei 0,90 m über NN. Bei einem um 1 m höheren Wasserspiegel - ein derartiges Niveau entspricht der Zeit um 1100 in Lista - wies die Anlage lediglich einen geringen Wasserstand auf.
Wird vorausgesetzt, daß der Kanal zur Erleichterung des Fahrzeugtransports wasserführend war, so muß er damit dem Zeitraum vor 1100 angehören. Betrug sein Wasserstand 0,5 m, so wäre die Anlage dem 8. Jh. zuzuschreiben, bei einem Niveau von 1 m sollte der Kanal dagegen bis in das 4. Jh. zurückreichen. Ein Wasserstand von 1,5 m, der dem Zeitraum um Chr. Geburt entsprechen würde, ist dagegen wahrscheinlich als überhöht anzusehen. Die angeführten Beobachtungen führen zu der vorsichtigen Schlußfolgerung, daß der Kanal der Epoche zwischen dem 4. und 8. Jh. zuzuweisen ist.
Bei dem um 1,5 m höheren Wasserspiegel des 8. Jhs. war die örtliche Topographie weitgehend mit der heutigen Situation identisch. Damit hätte der Kanal, der sich nach den Bildquellen des 18./19. Jhs. über 250 m erstreckte, lediglich die Hälfte der benötigten Länge aufgewiesen. Befand sich der Wasserspiegel dagegen 2 m über dem heutigen Niveau, so ergibt sich eine sehr gute Übereinstimmung mit der Kanallage und -länge. Damit gewinnt die Annahme an Gewicht, der Befund gehöre der Spätkaiser- und Völkerwanderungszeit an.
Der archäologische Kontext scheint die Annahme einer Frühdatierung weiter zu stützen. Bei einem um 2 m höheren Wasserspiegel in Spangereid hätte im Gebiet südlich von Groben eine seichte Bucht bestanden, die wegen einiger vorgelagerter Sandbänke eine geschützte Lage aufgewiesen hätte. Bemerkenswerterweise entspricht dieses Niveau nicht allein dem Kanalverlauf, sondern ebenso den sieben Großbootshäusern in Kjerkevågen, die zur schützenden Unterstellung von lang-schmalen Schiffen mit einer Mindestlänge von 15 m genutzt wurden. Diese Häuser hätten sich bei dem genannten Niveau nahe der Küste des seichten und geschützten Naturhafens befunden. Der Kanal von Spangereid mit einem Wasserstand von 1 m im 4. Jh. wäre gut zum Transport von Schiffen des Nydam-Typs (maximale Breite: ca. 4 m) geeignet gewesen, die einen Tiefgang von ca. 0,70 m aufwiesen (JENSEN 1999).
Die Überlegungen zur Datierung sind wie folgt zusammenzufassen: Wird in Übereinstimmung mit den Bildquellen des 18./19. Jhs. eine ursprüngliche Kanallänge von 250 m vorausgesetzt, so war die Anlage nur bei einem um 2 m höheren Wasserspiegel funktionsfähig. Daraus folgt eine spätkaiser- und völkerwanderungszeitliche Stellung für den Kanal.
Kanhave Kanal und Fossa Carolina
Neben dem Kanal aus Spangereid bzw. dem dänischen Beleg auf Samsø (s.u.) sollte mit weiteren derartigen Befunden in Skandinavien gerechnet werden. Wie archäologische Registrierungen in jüngster Zeit nachweisen konnten, war der schwedische Mälarsee möglicherweise über einen Kanal mit der Ostsee verbunden (DECKEL 2003, 212f.). Die Saga-Literatur berichtet verschiedentlich von Kanälen, die eigens für wikingerzeitliche Flotten angelegt wurden (ELLMERS 2000; vgl. Harald Hardrådes saga, cap. 58). Nicht zuletzt können namenkundliche Indizien bei der Lokalisierung derartiger Anlagen helfen (WESTERDAHL 1996).
Der Kanhave Kanal auf Samsø, ein deutlich sichtbares Bodendenkmal von ca. 500 m Länge, erscheint in der lokalen Überlieferung als “der schwedische Kanal” aus der Zeit der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Dänemark und Schweden im 17. Jh. (z.B. NØRGÅRD JØRGENSEN 1995; 2000; GREWE 2002). Die Ausgrabungen seit den 1960er Jahren haben mehrfach die klare Befundsituation aufgezeigt, und dabei wurde umfangreiches organisches Material zutage gefördert. Den Dendro-Datierungen zufolge stammt das Holz der Hauptkonstruktion von Bäumen, die im Jahre 726 gefällt wurden. Der Befund auf Samsø wird als kombinierte Hafen- und Kanalanlage mit militärischer Bestimmung gedeutet, die zur Überwachung von Schiffahrtswegen in der Ostsee diente. Die Initiative zum Kanalbau ist einer starken dänischen Zentralgewalt im frühen 8. Jh. zugeschrieben worden. Sie trug auch die Verantwortung für die zeitgenössische Frühphase des Danewerks, die Errichtung der Seesperre in der Schlei nahe dem späteren Handelsort Haithabu sowie schließlich die Gründung Ribes (z.B. MYHRE 1993, 196; NØRGÅRD JØRGENSEN 1995).
Die fränkischen Reichsannalen berichten für das Jahr 793 vom Versuch Karls des Großen, die schiffbaren Flüsse Rhein und Main über die kleineren Nebenflüsse Rednitz (Rezat) und Altmühl mit der Donau zu verbinden (z.B. KOCH 1993; 1995; GREWE 1995). Die Überreste des Monuments bei Weißenburg in Bayern mit einer Gesamtlänge von 3000 m und einer Breite von max. 30 m an der Grabensohle werden als “Karlsgraben” bzw. Fossa Carolina bezeichnet. Ohne jeden Zweifel handelte es sich dabei um eine Großunternehmung: Die höchste Schätzung rechnet mit 7500 Beschäftigten während der Bauarbeiten (HOFMANN 1965, 444-453). Nach Auskunft der Schriftquellen wurden im genannten Jahr Schiffe des Hofs an der betreffenden Stelle über Land zur Weiterfahrt umgesetzt. Die Errichtung eines dauerhaften Kanals soll an widrigen Bodenbedingungen und politischen Krisen gescheitert sein. Wie neueste Untersuchungen zu belegen scheinen, wurde der Kanal jedoch tatsächlich in Betrieb genommen (KOCH 2002).
Funktion
Wie bereits beschrieben, stellt Lindesnes einen “Flaschenhals” dar, der die Schiffahrt an der norwegischen Südküste in erheblichem Maße gefährdete. Bis zum frühen 20. Jh. ist aus verständlichen Gründen mehrfach die Errichtung eines Kanals erwogen worden: Die Verbindung des Grøns-/Lenefjords mit der Bucht von Kjerkevågen hätte ohne jeden Zweifel den zivilen, kommerziellen Verkehr erleichtert (STYLEGAR 1999, 254-269). Billes Kanalprojekt während der Napoleonischen Kriege zeigt jedoch, daß auch militärische Überlegungen dabei von Bedeutung sein konnten.
Aus topographischen Gründen stellt die Bucht von Høllen, d.h. der südlichste Teil des Lenefjords, wenigstens zur Sommerzeit einen exzellenten Hafen dar. Er war jedoch nur von der westlichen Seite über Fjorde erreichbar, und erst ein Kanal über die Landenge hinweg hätte einen zweiten Zugang zum Hafen ermöglicht. Wegen umfangreicher moderner Bautätigkeiten ist in Høllebukta leider nicht mit archäologischen Registrierungen zu rechnen. Bemerkenswerterweise befand sich in dieser Bucht jedoch eventuell ein Landeplatz der Spätkaiser- bzw. Völkerwanderungszeit, und namenkundliche Indizien deuten auf einen lokalen Handelsplatz der Wikingerzeit bzw. des Mittelalters weiter nördlich im Fjord hin (STYLEGAR/GRIMM IM DRUCK).
Der Bau des Kanals von Spangereid setzt eine zentrale Planung und Arbeitsorganisation voraus. Eine vorläufige Hypothese, die an den dänischen Befund aus Samsø angelehnt ist, könnte wie folgt lauten: Das Hauptziel des Kanals, der auf kleinkönigliche Initiative hin erreichtet wurde, bestand darin, den inneren Fjord als Flottenbasis zu nutzen, um die Wasserwege im südlichen Norwegen zu kontrollieren. Das militärische Umfeld des Kanals wird durch die erwähnten zeitgenössischen Großbootshäuser (interne Länge: 18-27 m) verdeutlicht, in denen Fahrzeuge zum Mannschaftstransport mit militärischem Potential untergestellt waren (GRIMM 2001).
Der Kanal in Spangereid könnte als norwegische Entsprechung zu großen, vielleicht proto-königlichen, Bauvorhaben der Kaiserzeit in Dänemark gewertet werden, d.h. den Seesperren (z.B. Margrethes Bro und Æ Lei) bzw. den großen Wall-/Palisadenanlagen in Jütland (z.B. Olgerdiget), die möglicherweise zur Markierung von Herrschaftsräumen dienten (JØRGENSEN 2003, 8).
Zusammenfassung
Es wird weiterer Untersuchungen bedürfen, um insbesondere eine zuverlässige Datierung des Kanals in Spangereid zu erreichen. Nach aktuellem Untersuchungsstand ist von einer militärisch ausgerichteten, spätkaiser- und völkerwanderungszeitlichen Anlage auszugehen, die sich an einer für den Schiffsverkehr besonders sensiblen Stelle befand und die von einem maritimen Machtzentrum kontrolliert wurde.
Danksagung
Die Verf. bedanken sich bei Lindesnes kommune für die Hilfestellungen während der Arbeiten vor Ort, Rune A. Frederiksen (Bergen) und Morten Olsen (Tromsø) für die Mithilfe bei der Registrierung des Kanals, Lars Foged Thomsen (Århus) für die graphische Gestaltung der Abbildungen, Prof. Dr. Claus von Carnap-Bornheim, Dr. H. Jöns, Dr. B. Päffgen und Joachim Schultze M.A. für wichtige Anmerkungen zur deutschen Fassung und Prof. Dr. Paul Schafer (New Orleans) für die Korrektur der englischen Zusammenfassung.
Summary
So far, the recently discovered canal at Spangereid, Lindesnes (southern Norway) that may date back as far as the late Roman and Migration period has only two parallels in Middle and Northern Europe: the Kanhave Kanal, Samsø (Denmark) dendro-dated to 726 A.D. and “Karlsgraben” (Fossa Carolina), Weißenburg (southern Germany) dated according to written sources at 793 A.D. The Roman testimonies are not being discussed in this paper.
Around Spangereid, many archaeological monuments and finds are known. Several of the monuments in the area (a court site, many rich graves, a minimum of eight huge boathouses, an early Romanesque stone church, etc.) point towards an eminent center of power in southern Norway, extending from parts of the Iron Age to Medieval times.
The southernmost tip of Norway, Cape Lindesnes, has been considered a threat by sea-farers for a long time. The Spangereid Canal is located at an isthmus a bit further to the north of the cape, a thin 500 m strip of land situated c. 2,90 m above sea level today. It is still partially preserved in the landscape and according to pictorial sources from the 17th/18th centuries, it once covered a distance of ca. 250 m from Høllebukta southwards. In summer 2001, Vest-Agder fylkeskommune made a registration in Spangereid in order to clarify the feature´s status.
The excavation´s trench revealed an area 12 m wide by 1,5 m deep, that was removed during the canal´s construction. The canal may have been up to 7 m wide, but the bottom´s sides were not clearly distinguishable during the investigation. The same problem is faced concerning the level of the bottom during the period it was built. As few decomposed organic relics and stones demonstrate, the bottom level during the period of use has been ca. 0,90 m above sea level.
So far, two radiocarbon-datings are available, one from a posthole-like feature removed from its original context that mainly consists of an organic refilling after the decomposition of the post itself (cal. AD 1040-1260) and another from the horizontal turf layer that according to a botanical analysis was built up in a freshwater environment after the canal had gone out of use (cal. AD 1010-1190). According to the stratigraphical situation, the canal predates the period characterised by the mentioned datings. For topographical reasons (the canal´s bottom in relation to the landrising in the previous 2000 years), it was probably used in the late Roman and Migration period. At a water level 2,5 m higher than today´s, both the canal and seven huge boathouses had a suitable position in relation to the coast line.
The Kanhave Canal on Samsø is considered to be a royal naval base that served for controlling sea-borne traffic in parts of the Baltic Sea. As for the canal in Spangereid, we may come to the following preliminary conclusion: it served as a “proto-royal” naval base for ships used to control the “coastal highway” in southern Norway. This argumentation might be strengthened by the boathouses nearby the canal which were used to shelter long and narrow vessels of the Nydam-type with a military potential.
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- Amphibian transport systems in Northern Europe. A survey of a medieval pattern of life. Fennoscandia archaeologica XIII, 69-82.
Westerdahl, C. 2002
- Vänerns magi. Sjöns rituella landskap. In: Vänermuseet Årsskrift 2002 (Lidköping), 42-77.
'The time has come,' the Walrus said,'To talk of many things:Of shoes — and ships — and sealing-wax —Of cabbages — and kings —And why the sea is boiling hot —And whether pigs have wings.'
Lewis Carroll: The Walrus and the Carpenter
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